TSCHERNOBYL-GEDENKTAG 26.4.1986

 

Verseuchte Molke fährt im Zug quer durch das Land.

Auf dem Spielplatz warnt man vor verseuchtem Sand.

Irgendwo ist ein Reaktor explodiert,

angeblich Unvorstellbares ist doch passiert…

Die Angst sitzt festgekrallt den Menschen im Genick

Quälende Fragen, dazu sorgenvoller Blick.

Wer wohl verlässlich weiß, wie weit die Strahlung reicht?

Wie lange sie aus der Ruine noch entweicht…

 

Und Kinder fragen, könn‘ wir auf den Spielplatz gehn?

Warum das nicht gehn soll, das könn sie nicht verstehn.

Sie wolln mit Eimerchen und Schäufelchen in Sand,

zur Rutschbahn und zur Schaukel, Mama an der Hand.

 

Und die Atommafia verkündet ihre Mär,

dass Energie aus Reaktoren sicher wär,

schmiert mit Millionen Medien und Politik -

Milliarden als Gewinne haben sie im Blick.

In Tschernobyl ist ein Reaktor havariert.

Beteuert wird, man mit Atomkraft nichts riskiert

In Brokdorf wird ein neuer Meiler hochgefahrn –

der sicher sei – so wird zumindest noch getan…

 

Junges Gemüse hol dir nicht auf deinen Tisch,

Finger weg von dem, was knackig ist und frisch.

Warn die Kühe auf der Weide, nicht im Stall,

iss keine Milchprodukte mehr, auf keinen Fall.

Willse Pilze auf dem Teller - lass es sein.

Iss keine Beeren, lass dich auch auf Wild nicht ein.

Gewarnt wirst du auch vor Salat, der sei verstrahlt,

du kriegst die Quittung, hast den Preis ja längst bezahlt.

 

Und Kinder fragen, könn‘ wir auf den Spielplatz gehn?

Warum das nicht gehn soll, das könn sie nicht verstehn.

Sie wolln mit Eimerchen und Schäufelchen in Sand,

zur Rutschbahn und zur Schaukel, Mama an der Hand.

 

Bewahr die Ruhe, gibt für Panik keinen Grund.

Jede Aufregung ist schließlich ungesund.

Männer dichten auf dem Dach den Meiler ab -

und liegen selber kurze Zeit danach im Grab.

Was passierte, offiziell man lang verschweigt,

man sich schmallippig, und nicht gesprächig zeigt.

Man will vertuschen, was in Tschernobyl geschehn -

auf Messgeräten sind die Folgen klar zu sehn.

 

Der Minister hält den Gau für ungefährlich -

von der Materie ist seine Ahnung spärlich -

Friedrich Zimmermann hält sich für kompetent

Auch wenn er die Risiken gar nicht erkennt.

Er behauptet einfach, alles sei geregelt -

man hat die Grenzwerte nun höher eingepegelt.

Weil die Regierung Sicherheit ja garantiert,

ist klar, dass man mit Sicherheit auch nichts riskiert. 

 

Und Kinder fragen, könn‘ wir auf den Spielplatz gehn?

Warum das nicht gehn soll, das könn sie nicht verstehn.

Sie wolln mit Eimerchen und Schäufelchen in Sand,

zur Rutschbahn und zur Schaukel, Mama an der Hand.

 

Die Ruine wird zu einem Sarkophag,

Reaktorsicherheit verplombt in einem Sarg.

Ein Meiler geht in Brokdorf gleichzeitig ans Netz,

dreieinhalb Jahrzehnte dazu Sicherheitsgeschwätz.

Jetzt strahlt er abgeschaltet weiter vor sich hin -

der nukleare Abfall bleibt noch lange drin,

denn niemand weiß im Land, wo soll man damit hin…

aus dem Betrieb bleibt den Betreibern der Gewinn.

 

Doch was passieren kann, das sah man zeitnah schon:

So fing das Ende an der Sowjetunion –

An Tschernobyl erinnern wir nun jedes Jahr,

dem Supergau kamen wir schon gefährlich nah.

Heut redet man die Risiken längst wieder klein –

Behauptet frech, die könnten so groß gar nicht sein.

Zeit wird, dass man den atomaren Schlussstrich zieht,

bevor tatsächlich noch ein Supergau geschieht.

 

© 2023 Gerd Schinkel