DER ANRUF

 

Es war ein schöner Tag im Mai

den hatte ich sogar noch frei,

wusst auch wie ich ihn nutzen könnt:

Hab mir ein Kuchenstück gegönnt,

eins das erst weich ist, später fest,

sich dann nicht mehr gut kauen lässt. –

Da klingelte das Telefon –

es war die Tochter, nicht der Sohn.

 

Ich hab sie nett gefragt, wie’s geht,

Da hat sie schon gleich losgelegt.

Das führt oft dazu, wenn ich ess,

dass ich das ziemlich schnell vergess,

Denn ist sie dann erst mal in Schwung,

merk ich sehr bald, bin nicht mehr jung,

und muss mich deutlich konzentriern,

um nicht den Faden zu verliern.

 

Papa, hast du es schon gehört?

Also mich hat das ja empört

und für mich war das ganz neu,

was ich jetzt fürchterlich bereu.

Hätt ich das vorher mal erfahrn,

vielleicht sogar vor ein paar Jahrn,

es hätt mir nicht den Schlaf geraubt,

wahrscheinlich hätt ich’s nicht geglaubt.


Da hab ich mich das erste Mal gefragt,–

was hat sie bis jetzt eigentlich gesagt..

Weisst du, die Nachbarn wissen’s auch,

die du auch kennst, mit dickem Bauch

und ehrlich wundert mich das schon,

weil ich doch auch schon lang hier wohn

hab mir gedacht, ich sags dir gleich,

bin froh, dass ich dich jetzt erreich,

das hat mich ziemlich aufgeregt,

doch jetzt hat sich das schon gelegt...

 

auch wenn’s mir durch den Kopf noch geht,

man möchte ja doch, dass man versteht,

warum, wieso, weshalb und so,

und überhaupt und sowieso,

hab ich dich nicht schon mal gefragt,

und hast du mir da nicht gesagt,

das du dich nicht erinnern könnt’st,

was du dir doch für Lücken gönnst,

 

ich frag die Mama, denn die weiß

bestimmt noch alles und den Preis,

den man bezahlt hat, früher mal,

man muss ja, hat ja keine Wahl,

wenn man das nun mal wirklich braucht,

ach ja, wie mich das alles schlaucht,

es wär doch schön, wenn’s anders wär’

wie früher, nur nicht so lang her…

 

da hab ich mich das zweite Mal gefragt,

was hat sie mir jetzt eigentlich gesagt…

 

Sie hat gesprochen, in mein Ohr,

das kommt gelegentlich ja vor,

ich hör ihr zu, so gut ich kann,

und muss sie bremsen, irgendwann,

denn mir ist plötzlich nicht mehr klar,

was eigentlich der Anlass war,

dass sie mich anrief, mit mir spricht,

beim besten Will’n – ich weiß es nicht.

 

Verzweifelt denk ich drüber nach,

wovon sie eben doch noch sprach.

Lässt mein Gedächtnis mich im Stich?

Das wäre wirklich fürchterlich.

War es was Ernstes? Von Belang?

Frag ich mich hilflos und auch bang.

Sag mir, wie würd es dir denn gehn,

könnt’st du Gesagtes nicht verstehn.

 

Ne Weile später, irgendwann

hör ich: Papa? Bist du noch dran?

Mein Kuchen hart, die Birne weich,

inzwischen das Gesicht ganz bleich,

hab ich den Kuchen eingetunkt,

gefleht: Jetzt komm mal auf den Punkt…

Wem reicht zur Kommunikation

ein Konsonant? Mhmmm - dem Sohn…

 

Wie anders es mit meiner Tochter steht:

sie braucht mehr als das ganze Alphabet... 

 

Copyright 2012 Gerd Schinkel