Komm Se raus    

 

Ham se sich gut versteckt?

Hat mer sie schon geweckt?

Komm se raus! Komm se raus!

Schon gesehn!

Warn se auch gut getarnt

und beizeiten gewarnt?

Immer raus! Immer raus!

Könn se gehn!

 

Sind se gut versichert?

Und hat man sie gut bezahlt?

Ham se sich die Quittung

ganz genauso ausgemalt?

Fang se jetzt von vorne an,

ran an Speck!

Nicht so lange warten.

Sonst sind alle weg.

 

Sind se gut umfrisiert?

Und jetzt läufts wie geschmiert?

Na famos! Na famos!

Gut gemacht!

Warn se nie mit dabei?

Nie nicht in keiner Partei?

Tadellos! Tadellos

mitgedacht...

 

Sind se gut gesäubert?

Strahlt die Weste wieder weiß?

Hat sich nix geändert?

Was man weiß, macht keinen heiß...

Bleim se schön in Deckung.

Uberall fliegt Dreck!

Nicht so lange warten.

Gehn se lieber weg...

 

Ham se auch mitgewählt?

Und danach ausgezählt?

Weiter so! Weiter so!

Klappt ja gut!

Ham se alles gesagt?

Keiner hat se gefragt?

Ach i-wo! Ach i-wo!

Is ja gut!

 

Schaun se in die Zukunft!

Ziehn se hinter sich n Strich!

Tun se einfach so, als ob

grad ihnen keiner glich!

Schön Augen zu und durch.

Keinen Schreck - höchstens n Scheck...

Nicht so lange warten.

Sonst sind alle weg...

 

Copyright Anfang der 90er Jahre Gerd Schinkel

 

Als die Mauer 1989 gefallen war, wollten im zusammengebrochenen deutschen Osten auf einmal alle, die meinten, ungeschoren davon kommen zu können, eine weiße Weste haben. Nicht wenige drängten nach zu kurzer Schamfrist erneut in Ämter und Würden... Ein Lied zu den „Schwamm-drüber-Forderungen“ nach dem Mauerfall, als es darum ging, zu einer gemeinsamen deutschen Zukunft zu finden, unbeschadet aller kriminellen und menschenverachtenden Machenschaften derer, die zur Stabilisierung der SED-Diktatur beigetragen hatten.

Ergänzend zu all den Sonntagsreden um die deutsche Einheit kann nicht deutlich genug an die vielen Einheitsgewinnler mit verfleckter Weste erinnert werden, an die Wendehälse innerhalb und außerhalb der Blockflötenparteien, mit oder oder Stasi-Decknamen, die es nicht nur verstanden hatten, sich im real-existierenden -ismus profitabel einzurichten, sondern es ebenso geschafft haben, korrupti-wupp auch im Einheitsland ihre "Überlebens-Qualitäten" unter Beweis zu stellen. Verstecken, vielleicht gar auch Schamgefühl, ist ihre Sache nicht. Wozu auch, wenn schon der Einheitskanzler keinerlei Fähigkeit zum Unrechtsbewusstsein nach Rechts- und Verfassungsmissachtung  zu zeigen vermochte... Man schenkt sich nichts und ist von einem Kaliber...

Die Vorstellung, dass es willfährigen Peinigern auch nach dem Bankrott des „real existierenden Sozialismus“ besser gehen könnte als den von ihnen zuvor Gepeinigten, hielt und halte ich immer noch für unerträglich. Doch die Dickfelligkeit vieler deutscher Zeitgenossen macht mich ratlos, genauso wie ihre Fähigkeit, eine unangenehme – auch persönliche – Vergangenheit zu verdrängen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Taktische politische Überlegungen über Bündnisse mit den Wendehälsen, deren Verbrechen ungesühnt blieben, während die Opfer noch leiden, machen mich fassungslos.

Geschrieben Anfang der neunziger Jahre.